Die Bedeutung der Alten

Die Bedeutung der Alten



Beim Stöbern in alten Bildern - nein nicht in einer Fotokiste mit schwarz/weiß-Bildern und Wellenrand, sondern im Handy – bin ich auf ein Bild gestoßen, dessen Szene sich in meinen Kopf eingebrannt hat:

Aufgenommen vom Balkon, in den Garten gesoomt, auf meinen Vater, der mit seinen damaligen 90 Lebensjahren auf der Kante des Hochbeets saß und glücklich und zufrieden in die Sonne blickte. Dieses Bild nahm ich auch als mein WhatsApp Statusbild - damals gabs noch nicht die Profilbildfunktion - was ich aber auch fast täglich wechselte. Somit war es nur ein Bild, was am nächsten Tag wieder verschwand. Trotzdem ein schönes Bild einer besonderen Situation. Für mich.


Doch melancholisch wie ich bin, sehr glücklich aber nach innen lächelnd, denke ich zuviel in die Zukunft, die geprägt durch mein bisheriges Leben ist. 

„Die Jahre hinter mir, schrieben nicht nur auf Papier. Sie schrieben unter meine Haut, waren leis und waren laut und bleiben stets ein Teil von mir.“ – ein passender Song mit treffenden Zeilen.

Mit fortschreitendem Alter hat man schon zu viele Menschen zu Grabe getragen und damals, bei der Aufnahme des Bildes, habe ich mich auch gefragt, wie lange er noch da so glücklich und zufrieden sitzen kann. 


Manchmal blockieren diese Gedanken, dass man sich zu sehr darin verliert und das Jetzt nicht genießen kann. Aber es bewirkt auch, dass man im nächsten Schritt, in der nächsten Sekunde, das Jetzt noch bewusster genießt.

Mal auf dem Weg zur Arbeit am Sonnenblumenfeld anhalten, vielleicht auch wieder ein Foto davon zu machen, nicht um der Klicks willen, sondern um den schönen Moment zu teilen. Aber das Anhalten zählt.

Sich auch mal mit den Alten zu unterhalten. Sie Geschichten erzählen lassen, denn sie haben viel zu erzählen. Sehr viel. Viel von ihrem Leben und viel von unserem Leben. Sich Zeit für sie nehmen. Denn das ist etwas, was Jung und Alt verbindet: die Zeit rennt gleich schnell; jedoch sind die Sanduhren unterschiedlich gefüllt und irgendwann werden sie uns nichts mehr von ihren Geschichten erzählen.


Jetzt sitzt mein Vater nicht mehr auf der Kante des Hochbeets. Blickt nicht mehr glücklich und zufrieden in die Sonne. Ich schaue immer noch vom Balkon in den Garten hinunter, auf das Hochbeet und sehe ihn dort sitzen. Berühre den Stein wo er saß, setze mich selbst dort hin und blicke die Sonne an, die seine Haut berührte und wärmte. Glücklich und zufrieden. Gedankenverloren an meine Familie, an mein und unser gutes Leben, so wie er damals vielleicht auch. Ich weiß es nicht, ich habe ja nur das Bild gemacht.


Heute würde ich dieses Bild nicht mehr machen. Heute würde ich zu meinem Vater runtergehen, mich neben ihn setzen und mit ihm erzählen. Oder schweigen und dabei glücklich und zufrieden in die Sonne blicken. Zusammen. Nebeneinander, vielleicht seine Hand dabei berühren.


Gleich fahre ich zum Friedhof. An das Grab meiner Eltern. Setze mich auf einen Stein und blicke glücklich und zufrieden in die Sonne.



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